PG Vorspessart

In der Diözese Würzburg herrscht wegen der Folgen der Corona-Pandemie eine Haushaltssperre. Gleichzeitig stehen Reformen in der Seelsorgestruktur an. Im Interview spricht Bischof Franz Jung über das Handeln der Kirche in der Krise und die Folgen davon.

KNA: Hat die katholische Kirche in der Corona-Krise mit der Absage öffentlicher Gottesdienste zu vorauseilend reagiert?

Bischof Franz Jung (Bischof von Würzburg): Das war keinesfalls vorauseilend. Erst mit dem vom Staat erlassenen Versammlungsverbot war klar, dass Gottesdienste nicht mehr stattfinden können. Ich glaube, da ist vielen Gläubigen erstmals deutlich geworden, wie ernst diese Corona-Pandemie wirklich ist. Wir haben sehr verantwortungsbewusst reagiert.

KNA: Der Bischofskonferenz-Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing, will zumindest über die Frage noch einmal diskutieren. Was halten Sie davon?

Jung: Wir müssen das Phänomen Corona eingehend reflektieren, auf allen Ebenen: Was heißt das für die Gottesdienste, was heißt es für Kirche insgesamt und wie sieht das Verhältnis zu den staatlichen Stellen und Verantwortungsträgern aus? Es geht um das Grundrecht der freien Religionsausübung. Das ist eine Güterabwägung: Die Gottesdienstbesucher sind vor allem ältere Menschen, also eine Risiko-Gruppe. Daher habe ich mich immer geweigert, die freie Religionsausübung gegen den Schutz der Gesundheit auszuspielen.

KNA: Es wurden viele Gottesdienste gestreamt - kann es das in so einer Krise gewesen sein?

Jung: Die Streams waren am auffälligsten - auch weil es hier viel Kreativität gab, gerade in den Pfarreien. Aber das war nicht das Einzige. Gemeinden haben kleine Impulse ins Netz gestellt, aber auch für andere Verantwortung übernommen. Ich habe immer wieder ganze Tage nur telefoniert, um zu hören, wie es den Mitarbeitern geht, etwa bei der Telefonseelsorge, in der Ehe- und Familienberatung, aber auch den Pfarrern.

Viele Seelsorger haben mir berichtet, dass sie noch nie so viele Einzelgespräche geführt haben wie in der Zeit der Corona-Krise. Über Chats, Internet, Social Media, sogar mit Telefonketten wurden Menschen kontaktiert, gerade einsame Personen.

KNA: Aussagen wie die der früheren thüringischen Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), die von einem Versagen der Kirchen sprach, gehen also an der Realität vorbei?

Jung: Auf jeden Fall. Man kann natürlich immer mehr machen. Aber nach der Überwindung des ersten Schocks ist sehr viel passiert. Gerade das Bemühen, bei Kranken und einsamen Menschen zu sein, war sehr stark da. Das habe ich bei Besuchen in vielen Einrichtungen selbst erlebt.

KNA: Viele Gläubige haben auch zu Hause Gottesdienste gefeiert - muss eine solche Selbstermächtigung, wie es Moraltheologe Michael Rosenberger nennt, nicht auch Konsequenzen haben?

Jung: Ich weiß von vielen jungen Familien, dass sie versucht haben, mit ihren Kindern eigene kleine Rituale zu Hause zu schaffen: eine Kerze anzünden, ein Lied zusammen singen, gemeinsam beten. Ich habe oft gehört: Die Kinder wollten diese Rituale, die einen gewissen Halt geben. Wir wünschen uns diese Stärkung der Hauskirche seit Jahren. In der Krise passierte dies nun zumindest in Ansätzen. Daran müssen wir anknüpfen.

KNA: Es gibt auch Stimmen, die sagen: Nun haben die Menschen gemerkt, Glauben zu leben geht auch ohne die Institution Kirche. Wie begegnen Sie solchen Aussagen?

Jung: Ich habe es nicht so erlebt, dass man hier die Institution gegen neue Formen ausspielt. Ganz im Gegenteil: Die Angebote vor Ort, aber auch vom Bistum, wurden sehr dankbar aufgenommen, etwa die gestreamten Gottesdienste. Viele Menschen sagen uns: Stellt das bitte nicht ein, wir feiern so zuhause den Gottesdienst mit und fühlen uns dadurch mit dem Bistum verbunden!

KNA: Welche Konsequenzen aus Corona gehören auf die To-do-Liste?

Jung: Corona hat gezeigt: Unterbrechen ist möglich, so leidvoll diese Erfahrung sein mag. Wenn wir nun über neue Strukturen in der Seelsorge nachdenken, kann es helfen, einen Schritt zurückzugehen und zu fragen: Was braucht es wirklich? Der zweite Punkt ist, dass Gemeinschaft wieder als Wert erkannt wurde. Viele Menschen vermissen etwa Arbeitskollegen oder Schüler die Schule. Gläubige vermissen die Gemeinschaft im Gottesdienst: Glauben kann man nicht alleine leben.

Dazu kommt: Wir haben einen Digitalisierungs-Schub erlebt. Da müssen wir dranbleiben.

KNA: Die Corona-Krise wird sich auch finanziell auf die Kirchen auswirken. Sie sprachen von anstehenden strategischen Entscheidungen: Wo konkret sehen Sie die neuen Schwerpunkte?

Jung: Mir ist wichtig, dass wir Pastoral und Caritas noch besser vernetzen und damit auch Doppelstrukturen abbauen. Manchmal bieten Verbände, Seelsorger und die Caritas ähnliche oder gleiche Dienste an. Im Engagement für Arme, Kranke und Notleidende müssen wir unsere Kräfte bündeln und nicht mehr nebeneinanderher arbeiten. Außerdem werden wir viele freiwerdende Stellen nicht mehr besetzen können.

Gleichzeitig müssen wir für die Unterstützung der Pfarreien Personal aufbauen. Insgesamt werden wir aber weniger Mitarbeiter beschäftigen können.

KNA: Was wird darüber hinaus gestrichen?

Jung: Das kann man noch nicht sagen. Wir wollen uns bis zu den Sommerferien einen Überblick verschaffen. Wir haben einen sehr deutlichen Auftrag vom Diözesansteuerausschuss als Kontrollgremium. Ich hoffe, dass wir bald klarer sehen.

KNA: Ist es auch denkbar, dass die 27 Bistümer in Deutschland mehr gemeinsam machen, um Geld zu sparen und was könnte das sein?

Jung: Der neue Verbandsrat im Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) soll genau solchen Fragen nachgehen: Welche Aufgaben soll der VDD übernehmen, wie kann die Solidarität unter den Bistümern gestärkt werden und was können wir wirtschaftlich, technisch und administrativ gemeinsam machen? Man wird sicher die bisherige Arbeitsweise überdenken und Aufgaben bündeln.

Das Interview führte Christian Wölfel. (KNA)

Veröffentlicht am 10. Juni 2020 auf domradio.de

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